Eisenbahn-Ausbesserungswerk

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EAW: Kraftzentrale mit Wasserturm, erbaut 1862

Das Eisenbahn-Ausbesserungswerk (EAW), jahrzehntelang der bedeutendste Arbeitgeber in Nippes, hatte im Laufe seiner Geschichte verschiedene Namen: „Zentralwerkstätte bei Köln“, „Reichsbahn-Ausbesserungswerk“ (RAW), „Bundesbahn-Ausbesserungswerk“ (BAW). Zwar sind die Gleise und Fabrikanlagen mittlerweile weitgehend verschwunden, aber auf dem Gelände des ehemaligen EAW ist ein ganz neuer Ortsteil entstanden, bei dessen Entwicklung sich die Hinterlassenschaft der Werksanlagen immer noch erkennbar auswirkt.


Gründung und erster Ausbau

In Deutschland wurden – wie in anderen Ländern auch – zunächst nur einzelne Eisenbahnstrecken gebaut; erst später wurde daraus ein Netz. Köln wurde schon bald ein Eisenbahn-Knotenpunkt (natürlich einer mit mehreren Kopfbahnhöfen), weil drei wichtige Eisenbahngesellschaften ab 1835 von Köln aus ihre Strecken bauten. Schon 1835 war die Rheinische Eisenbahngesellschaft entstanden, die zunächst die Strecke Köln – Aachen baute; etwas später bildete sich neben weiteren Gesellschaften auch die Cöln-Krefelder Eisenbahn, die eine Eisenbahnstrecke zunächst nach Neuss und später bis Krefeld erstellte. Ihre anfängliche Betriebs- und Instandsetzungswerkstätte lag im Bereich ihres südlichen Kopfbahnhofs, „Am Thürmchen“ (in der Nähe der heutigen Bastei, nördlich vom „Thürmchenswall“). Als 1860 die „Cöln-Krefelder Eisenbahn“ von der „Rheinischen Eisenbahngesellschaft“ aufgekauft wurde, reichte die Kapazität dieser Werkstatt nicht mehr aus, und man beschloss, eine neue „Zentralwerkstätte“ zu errichten. Ein bis dahin unbebautes Gelände seitlich der Neusser Straße bot sich aus verschiedenen Gründen an:

  1. dort existierte schon ein Bahnanschluss an die nahe gelegene Eisenbahnstrecke Köln-Neuss (die Bahntrasse lief entlang der heutigen Kempener Straße);
  2. das Gelände vor den Toren der Stadt Köln war billig zu haben;
  3. der Lehmboden des Areals eignete sich gut zur Herstellung von Ziegeln, so dass das Baumaterial nicht von weither transportiert werden musste (es gab damals mehrere Ziegeleien auf Nippeser Gebiet).

Die „Rheinische Eisenbahngesellschaft“ kaufte also ein großes Stück Land und baute verschiedene Werksgebäude und auch Wohnhäuser für Maschinen- und Werkmeister, später auch Wohnungen für Arbeiter. Der so entstandene Betrieb führte zunächst den Namen „Zentralwerkstätte bei Köln“. Das damals noch sehr kleine und ländliche Dorf Nippes lag so weit weg, dass die neue Fabrik zunächst gar nicht als zu Nippes gehörig empfunden wurde. Um das Werk herum entstand eine neue Ansiedlung, teils planvoll, teils durch „Wildwuchs“, die bald den Namen „Sechzig“, später "Sechzigviertel" bekam.

Entwicklung zum Großbetrieb

EAW: Geleise mit überdachter Rampe

Ein Verbindungsweg vom EAW hin zur Neusser Straße wurde erst mehrere Jahre nach dessen Gründung gebaut, und dann taucht der Name „Zentral-Werkstätte Köln-Nippes“ auf. Das Werk dehnte sich zügig aus; Arbeiter und Handwerker aus der Umgegend wurden eingestellt und siedelten sich vor allem im Sechzig-Viertel an, wo nach und nach auch Werkswohnungen entstanden. Leitungs- und Verwaltungspersonal wurde jedoch aus den preußischen Industriegebieten angeworben; diese Leute unterschieden sich sehr von den bisherigen Bewohnern der „Bürgermeisterei Longerich“ – vor allem durch ihre Konfession: Sie waren zum größten Teil evangelisch. Das brachte neue Eliten nach Nippes, erzeugte aber auch gewisse Spannungen, die unter anderem in Arbeitskämpfen und in politischer Überwachung zum Ausdruck kamen.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war das EAW eine Hochburg der „Metallarbeiter-Gewerksgenossenschaft“, eines Vorläufers der „Industriegewerkschaft Metall“. Der erste Metallarbeiterstreik im neu gegründeten Deutschen Kaiserreich wurde im Oktober 1871 im EAW Nippes ausgerufen. Im Mai 1878 hatte die Metallarbeiter-Gewerkschaft (laut Beitragsabrechnung) in Nippes 248 aktive Mitglieder, während für Ehrenfeld (damals ein wichtiger Industrievorort) nur 42 aktive Mitglieder verzeichnet sind. Die Betriebsleitung reagierte mit Härte: Der Beitritt zu „sozialdemokratischen Vereinen“ wurde den Beschäftigten untersagt, es wurde ihnen sogar der Besuch bestimmter Lokale verboten. Spitzelberichte und Denunziationen aus dieser Zeit sind erhalten; bei der Unterdrückung „sozialdemokratischer Bestrebungen“ taten sich unter anderem der Nippeser Bürgermeister Wilhelm Eich und der Eisenbahndirektor Wilhelm Nohl hervor. An beide Persönlichkeiten erinnern heute in Nippes Straßennamen: „Eichstraße“ und „Nohlstraße“. Nohl war damals ein führender Vertreter der jungen evangelischen Kirchengemeinde, in deren Presbyterium noch andere leitende Eisenbahner saßen.

Die „Gründerjahre“ nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 bescherten dem EAW einen regelrechten Boom: Die Wirtschaft florierte, und der Eisenbahnbau wurde forciert. 1877, 15 Jahre nach der Gründung, arbeiteten schon 524 Personen in dem Werk. 1880 ging die „Rheinische Eisenbahngesellschaft“ in den Besitz des preußischen Staats über; das EAW bekam den Namen „Königliche Eisenbahn-Hauptwerkstätte Köln-Nippes“. Schrittweise expandierte das Werk, weitere Hallen und Anlagen wurden gebaut, und bis 1916 hatte das Gelände seine größte Ausdehnung erreicht: 196 000 qm zwischen Gürtel und Werkstattstraße.

"Entwesungsanlage" - hier wurden Waggons zur Ungeziefer-Vernichtung hineingeschoben. Foto ca. 1935

Während des 1. Weltkriegs herrschte im EAW Hochbetrieb. Die Eisenbahn spielte ja für die Kriegslogistik eine immens wichtige Rolle. Gegen Ende des Krieges war die Zahl der Beschäftigten auf 3000 angestiegen. Weil auch Eisenbahner Kriegsdienst zu leisten hatten, wurden im Betrieb zunehmend Frauen und Kriegsgefangene eingesetzt.

In den ersten Jahren der Weimarer Republik war das EAW zunächst noch voll ausgelastet: Für den Wiederaufbau und den Gütertransport war ja die Eisenbahn unentbehrlich. Hinzu kam, dass die Länder-Eisenbahnen 1920 zu einer „Reichsbahn“ zusammengefasst wurden; das Nippeser „Reichsbahn-Ausbesserungswerk“ bekam eine zentrale Stellung im Gesamtsystem. Aber die Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre wirkte sich auch auf die Nippeser Eisenbahnwerkstätten massiv aus: Es kam zu Massenentlassungen und zu „Rationalisierungsmaßnahmen“, die den Arbeitsdruck verschärften. Einen neuerlichen Aufschwung gab es dann mit dem Beginn des nationalsozialistischen Regimes. In der Festschrift zum 100-jährigen Bestehen des EAW (erschienen 1962) heißt es hierzu:

„Die Jahre 1933 bis 1939 standen im Zeichen eines Auf- und Ausbaues, der, entsprechend der damaligen Zeit, als politische Maßnahme anzusehen war. – Die ruhigen Zeiten wurden jäh unterbrochen, als im September 1939 der 2. Weltkrieg ausbrach.“

Bekanntlich waren die „ruhigen Zeiten“ charakterisiert durch eine beispiellose Aufrüstung und durch intensive Kriegsvorbereitungen, bei denen das EAW natürlich eine wichtige Rolle spielte.

Naziherrschaft und 2. Weltkrieg

Bald nach der „Machtergreifung“ durch Hitler setzen die Kriegsvorbereitungen ein. Schon 1936 sind in Nippes 19 „Sammelschutzräume“ (zum Schutz vor erwarteten Bombenangriffen) eingerichtet. Im „Reichsbahn-Ausbesserungswerk“ (RAW), das fast ausschließlich für die Aufrüstung der Wehrmacht arbeitet, besteht ein eigener „Werks-Luftschutz“. – 1937 feiert das „RAW Köln-Nippes“ sein 75-jähriges Bestehen mit beträchtlichem Pomp. Auf dem Werksgelände wird den im 1. Weltkrieg gefallenen „Gefolgschaftsmitgliedern“ ein weithin sichtbares Denkmal gesetzt. In der Festschrift von 1937 heißt es unter anderem: „Der gewaltige Umschwung, der sich 1933 vollzog, ergriff das Innerste unseres Betriebes.“

Das Werk hatte damals seine größte Ausdehnung. Es verfügte nicht nur über eine Sportplatz, eine Turnhalle und einen Schießstand (!), sondern es war auch beteiligt an einem Kinderheim und einem „Eisenbahner-Erholungsheim“ („Gut Nierhof“ im Sauerland). Von dem Kinderheim ist noch die Bronzeplastik zu sehen, die früher den Brunnen im Eingangsbereich zierte; sie stand bis vor Kurzem, auf einem später errichteten Sockel, im Vorgarten des Hauses Werkstattstraße 15 (Ecke Nohlstraße). Leider wurde die Figur im Jahre 2011 gestohlen.

Im 2. Weltkrieg fielen erwartungsgemäß viele Bomben auf das RAW. Die erste Bombardierung des Werks geschah in der Nacht vom 10. auf den 11. März 1941; zahlreiche weitere Luftangriffe folgten. Zu den Bombenopfern zählen nicht zuletzt viele Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, die in den Kriegsjahren in großer Zahl im RAW arbeiten mussten. Bei Luftangriffen waren diese Personen besonders gefährdet, denn es war ihnen untersagt, die Luftschutzräume aufzusuchen. Sie waren in verschiedenen Lagern untergebracht – dem RAW zugeordnet war vor allem ein Lager an der Kempener Straße / Ecke Mauenheimer Straße.

Im Herbst 1944 hatten die Zerstörungen ein solches Ausmaß erreicht, dass einige Teilwerkstätten ausgelagert wurden; außerdem wurden vier mobile „Werkstattzüge“ mit Mannschaften und Maschinen bestückt. Am 5. März 1945 verließ schließlich der letzte Rest der Belegschaft das RAW.

Nachkriegszeit

Zerstörtes Werksgelände

Bereits wenige Monate nach der Befreiung von der Nazi-Herrschaft wurde die Arbeit im Werk wieder aufgenommen: Man bemühte sich nach Kräften, wieder einen regelmäßigen Eisenbahnbetrieb möglich zu machen, und das, obwohl die Werksanlagen zum größten Teil zerstört waren. Schon bald zeichnete sich ein „großer Personalmangel“ ab, der aber „aus entlassenen Kriegsteilnehmern und den aus den Ostprovinzen zurückflutenden Flüchtlingen gedeckt“ werde konnte (so die Festschrift von 1962).

1951 war das „Bundesbahn-Ausbesserungswerk“ (BAW) wieder voll funktionsfähig; es zeichnete sich aber schon ab, dass verschiedene Fertigungsbereiche aufgegeben würden – Stichwort „Entflechtung“. Das Werk begann zu schrumpfen. Auf einem Teil des Werksgeländes, der ursprünglich für eine neue Lokomotivrichthalle vorgesehen war, wurde 1953 eine Wohnsiedlung für Eisenbahner gebaut. Andererseits wurde 1959 eine Kantine mit Werksküche eröffnet, in der an Werktagen rund 500 warme Mahlzeiten ausgegeben wurden. Das Kantinengebäude, das nach der Stillegung des BAW jahrelang für Tanzveranstaltungen genutzt wurde, dann aber sehr verfiel ist, steht noch heute an seinem ursprünglichen Platz. Zur Zeit wird es zu einem Kinderzentrum um- und ausgebaut.

Stillegung des Werks

Bald nach der Wiedereröffnung des Eisenbahn-Ausbesserungswerks setzte schon ein Abbau der Fertigungsbetriebe ein. Anfang 1992 war die Gesamtbelegschaft noch 1 195 Personen stark, aber der Rückbau ging weiter, und schließlich wurde 1978 das „Bundesbahn-Ausbesserungswerk“ (BAW) ganz aufgegeben. Einige Hallen blieben zunächst stehen; sie wurden von anderen DB-Dienststellen belegt. Die Lehrwerkstatt machte noch weiter, zusätzlich wurde sogar eine Sonderwerkstätte für Behinderte auf dem BAW-Gelände eingerichtet. Als die DB sich Ende der 1980-er Jahre ganz zurückzog, richteten sich in den freigewordenen Gebäuden Künstler und verschiedene Betriebe als „Zwischennutzer“ ein. Der Trägerverein „Zug um Zug“ holte das denkmalgeschützte Holzgebäude des Worringer Bahnhofs nach Nippes; der Bau steht jetzt im Osten des ehemaligen Werksgeländes, an der Kempener Straße. „Zug um Zug“ baute außerdem in leerstehenden Hallen verschiedene Handwerksbetriebe auf und startete soziale und ökologische Initiativen. Daneben entwickelte sich „Die Kantine“ zu einer gefragten location für kulturelle Veranstaltungen (vor allem Tanz- und Disco-Betrieb). Der größte Teil des ehemaligen Betriebsgeländes blieb aber ungenutzt und wurde zur Industriebrache (s. EAW-Gelände).

Literatur:

  • Walter Schulz, Vom Motor der Industrialisierung zum „Alten Eisen“. Die Eisenbahnwerkstätte Köln-Nippes: in: Stadtteilarchiv Köln-Nippes e.V. (Hrsg.); Loß mer jet durch Neppes jon. Ein Streifzug durch die Geschichte; Köln 1987, S. 72-84.
  • Reichsbahnausbesserungswerk Köln-Nippes (Hrsg.): 75 Jahre Reichsbahn-Ausbesserungswerk Köln-Nippes; Köln 1937
  • DB (Hrsg.), 100 Jahre Bundesbahn Ausbesserungswerk Köln-Nippes 1862-1962; Essen 1969