Nippeser Bau- und Spargenossenschaft von 1896: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 2. November 2012, 13:53 Uhr
Vorgeschichte
Es ist wichtig, sich zu erinnern, wie insbesonders die Wohnverhältnisse der Arbeiterklasse im 19. Jahrhundert aussahen. In den durch Industralisierung rasch gewachsenen Städten hausten die Familien unter den elendesten Verhältnissen: in viel zu kleinen, feuchen, kalten Mietskasernen, of in Verschlägen und Kellerwohnungen unterhalb des Niveaus der Bürgersteige. Vor allem die hygenischen Verhältnisse waren katastrophal. Kanalisation existierte so gut wie keine. Die Sickergruben für den menschlichen Abfall hielten nicht dicht und verdreckten das Grundwasser. Hausabfälle landeten auf der Straße oder in Bächen und Flüssen und wurden bei jedem Hochwasser auf die Seitengelände gespült, wo sie verrotteten und die Luft verpesteten. Krätze, Pocken, Cholera, TB waren die Volkskrankheiten, an denen jährlich hunderttausende Menschen starben.
Auf 18-25 Quadratmetern lebten durchschnittlich 5-10 Personen. Wenn eben möglich suchten die Familien Wohnungen nahe dem Arbeitsplatz, um nicht stundenlange Fußmärsche zur Arbeit auf sich nehmen zu müssen. Lieber zogen sie öfter um, immer der Arbeit nach. Um die Miete zahlen zu können, pferchten sich die Menschen nicht nur mit ihren Familien zusammen. Sie nahmen darüber hinaus noch Kost- und Schlafgänger auf, die gegen geringe Miete eine Schlafgelegenheit in der Wohnung hatten, manchmal auch wie ein Familienmitglied mitlebeten, versorgt wurden.
Die Enge der Innenstadt zu verlassen und in den Vorstädten neue, besssere Wohnungen zu schaffen, bot sich als Alternative an. Besonders Unternehmer, die ein entsprechendes Vermögen anzulegen hatten und sich von einer besseren Unterbringung ihrer Arbeiter auch gesündere und leistungsfähigere Arbeitskräfte versprachen, begannen den Wohnungsbau auf dem freien Felde.
Die Situation in Nippes
Mit dem Bau auf freiem Felde begann in Nippes die Zuckerraffinerie Langen & Söhne. Bis Ende 1895 errichtete sie zwölf Arbeiterhäuser für insgesamt 24 Familien, die aber auf wenig Interesse stießen.
Ähnlich wird es im Fall der Rheinischen Gummiwarenfabrik Franz Clouth (Clouth-Werke) gewesen sein, die am 18. Dezember 1895 an den Oberbürgermeister in Köln schrieb, dass das Interesse an den bis 1895 in der Nippeser Nordstraße erbauten besseren Arbeiter- und Meisterwohnungen nicht groß genug sei und man deshalb gezwungen sei, Bauplätze dort wieder zu verkaufen. Selbst einige Meister und bessere Arbeiter hätten bald wieder die Wohnugen verlassen und seien in engere und primitivere Wohnungen gezogen. Bei den Arbeitern sei ein Gefühl für Häuslichkeit, Behaglichkeit und Wohnkomfort eben doch nicht vorhanden, deshalb seien die engen Wohungen in der Innenstadt vorgezogen worden. Es ist anzunehmen, dass andere Gründe wichtiger waren: die fehlende Verkehrsverbindung und Infrastruktur von Kaufleuten, kleinen Handwerkern, dazu teure Mieten und die Schwierigkeit, so weit weg von der übrigen Industrie Kost- und Schlafgänger zu finden, die die Mieten erträglich gemacht hätten - all das bewog die Familien, zurückzuziehen in die Innenstadt. Die mögliche soziale Kontrolle durch den Unternehmer tat ein Übriges.
An der Eisenbahnwerkstätte (Eisenbahn-Ausbesserungswerk) war die Situation anders. Hier entstand das typische Nebeneinander von Arbeitsstätte und Wohngebiet, es gab eine Verkehrsanbindugn und die Möglichkeit, nach den neuen hygienischen und medizinischen Erkenntnissen zu bauen.
In den Zeiten der Auseinandersetzung um die Eingemeindung Nippes nach Köln (1888) hatte es heftige Diskussionen zwischen Gegnern und Befürwortern gegeben. Jetzt da es in der eingemeindeten Vorstadt Nippes einen raschen Anstieg von Industrieansiedlungen und Wohnbedarf gab, erwies es sich als positiv, dass der Bürgermeister Wilhelm Eich sehr weitsichtig bei den Eingemeindungsverhandlungen lange Kanalisationswege durchgesetzt hatte. Sie erleichterten den Bau besserer Wohnngen in Nippes.
Der Bedarf stieg enorm. Der Bau der Zentralwerstätten (Eisenbahn-Ausbesserungswerk)1860 brachte bis 1877 über 500 Beamte und Angestellte nach Nippes, für die kaum genügend Wohnraum beschafft werden konnte, die Bevölkerung wuchs von 1871 - 1880 von 4.621 auf 9.930. Die private Bautätigkeit konnte damit nicht Schritt halten, zumal die Unternehmer, die einzigen, die für großen Wohnungsbau ausreichend Kapital hätten aufbrigren können, dies in die Neu- und Erweiterungsbauten ihrer Anlagen investierten und nur in begrenztem Maß Werkswohnungen betrieben. Die Lücke zu schließen, bemühten sich vielerorts gemeinnützige Wohnungsbaugenossenschaften und Bauvereine, die vorallem den Bau von Arbeiterwohnungen betrieben.
Eine katholische Initiative gegen die Wohnungsnot in Nippes
In Nippes war dies die "Köln-Nippeser Bau- und Spargenossenschaft e.G.m.b.H.", die erste Kölner Genossenschaft dieser Art. Sie wurde eine wegweisende Instution für Gesamtköln.
Die Initiatoren waren nicht selbst Arbeiter, sondern Angehörige der Mittelschicht: Intellektuelle, Kaufleute, Pfarrer und Unternehmer, die einerseits die ökonomische Notwenigkeit und Realisierbarkeit einer derartigen Genossenschaft einschätzen konnten, deren Kenntnisse und Erfahrungen aus den Lebensumständen der Arbeiter sie andererseits antrieben, bestimmte kulturelle, soziale und medizinische Vorstellungen in die Arbeit einzubringen.
Einer der Gründer der Nippeser Genossenschaft war der Präses des "Christlichen Arbeitervereins" Kaplan Heinrich Enshoff, der 1894 auf der Kölner "Katholikenversammlung" die Arbeiterwohnungsfrage in den Mittelpunkt des Interesses gerückt hatte. Er suchte sich die Bündnisgenossen für das Projekt in seinem Einflusskreis: den Apotheker Michael Frank, den Pfarrer Friedrich Krüth, den Bauunternehmer Johann Fischer, den Verlagsbuchhändler Fridolin Bachem aus Köln und den Rechtsanwalt und späteren Notar Carl Esser aus Bensberg.
Den Aufsichtrat bildeten 1895: Fridolin Bachem (Verlagsbuchhändler), Friedrich Krüth (Pfarrer), Johann Betz (Rektor), Wilhelm Dünner (Kaufmann), Johann Fischer (Bauunternehmer), Joseph Koenen (Rentner), Christian Cremer (Dr. med.), Wilhelm Kretzer (Fabrikant), Reiner Meyenburg (Kaufmann), Heinrich Krings (Regierungsbaumeister).
Den Vorstand bildeten 1895: Michael Frank (Apotheker), Paul Bolder (Rentner), Hermann Pitz (Kaufmann), Heinrich Enshoff (Präses), Ernst Schullin (Werksführer).
Auf dem Hintergrund der Erfahrungen, die sie aus dem Umgang mit der Arbeiterschaft mitbrachten, formulierten sie die Grundsätze ihrer Wohnungsbautätigkeit: 1. Die Genossenschaft sollte eine Eigenhaus-Genossenschaft sein. Die Arbeiterfamilie sollte ein Eigenheim als Zweifamilienhaus bauen. Die Mieteinnahme für die zweite Wohnung durfte nicht höher als 50% der Gesamtbelastung sein. Verboten war die Vermietung an Kost- und Schlafgänger. 2. Die Genossenschaft sollte minderbemittelten Kaufanwärtern helfen. Niemand, der mehr als 3.000 Mark Eigenkapital hatte, konnte ein Genossenschaftshaus kaufen. 3. Die Genossenschaftsbauten sollten ästhetisch und medizinisch vorbildlich sein. Drei, in Grundriss und Ansicht, ganz verschiednene Baupläne wurden erstellt. Zur besseren Durchlüftung lag zwischen je zwei Häusern 5 m Platz. Die Häuser lagen 5 m von der Straße entfernt, um einen Vorgarten zu ermöglichen. Zu jedem Haus gehörte ein cva. 300 qm großer Garten. Jede Wohnung erhielt ein Zimmer mit 16-20 qm und zwei von 12-15 qm Bodenfläche. Jedes Haus wurde an Kanal- und Wasserleitung angeschlossen.
Ende Juli 1896 begann die Genossenschaft mit den ersten 12 Häusern auf einem 4 1/2 Morgen großen Grundstück an der [Niehler Straße]] 277 ff., 15 Minuten entfernt von der Niehler Pfarrkirche. Die ersten Kaufanwärter waren 6 Tagelöhner, je 1 Drher, Lohnschreiber, Müllerknecht, Schlosser, Schriftsetzer und Zeichner. Einer der Tagelöhner zahlte 3.000 Mark, die übrigen zusammen etwa 3.000 Mark. Das Genossenschaftskapital betrug 30.000 Mark, aufgebracht von 74 Mitgliedern mit 300 Anteilen.
Am 1. Mai 1897 zogen die neuen Anwohner in ihre Häuser.
Die Häusergruppe an der Niehler Straße hatte Vorbildcharakter für Nippes, aber auch für andere Stadtteile, wo ähnliche Bauvereine entstanden.
Der Nachteil der Häusergruppe war, dass sie wegen der weiten Wege zur Arbeit, zur Schule und zur Kölner Altstadt, etwas abseits lagen, bis die Cöln-Niehler-Straßenbahn das Gelände 1907 in den allgemeinen Verkehr einbezog.
Die nächsten Baugebiete lagen näher an dem Eisenbahn-Ausbesserungswerk, dem wichtigsten Arbeitgeber im neuen Stadtteil. Im Jahr 1898 erwarb die Genossenschaft ein 4 1/2 Morgen großes Grundstück zwischen Geldern Straße und Escher Straße, durch das die Nievenheimerstraße gelegt wurde. Es entstanden 1898 20 Zweifamilienhäuser, 29 weitere 1899.
Die nächsten Komplexe im Jahr 1903 waren 38 Zweifamilienhäuser an der Eisenachstraße und am Wartburgplatz, weitere 9 im Jahre 1905.
1910 hatte die Genossenschaft schon 120 Zweifamilienhäuser mit 240 drei- und vierzimmrigen Wohnungen gebaut. Die Genossenschaftler arbeiteten alle ehrenamtlich.
Die niedrig gehaltenen Kosten, die geringen Anzahlungen und die Möglichkeit die Zweitwohnung zu vermieten, waren wohl das Erfolgsgeheimnis der Genossenschaft. Nur 14 mal mußten in den ersten 10 Jahren Kaufanwärter ihr Haus aufgeben, davon 6 aus Umzugsgründen.
Es ist angesichts der erfolgreichen Arbeit und der Verwurzelung im katholischen Milieu nichtg verwunderlich, dass sie von 1895 - 1936 relativ kontinuierlich arbeiten konnte. 1938 ging sie in den "Genossenschaftlichen Wohnungsverein zu Köln e.G.m.b.H." auf. Dass dabei, wie bei anderen Kölner Baugenossenschaften, politischer Druck seitens der nationalsozialistischen Verwaltung eine Rolle spielte, dem auch dei katholische Verankerung im Stadtteil nicht mehr gewachsen war, ist anzunehmen.